Rund 95 Milliarden Franken werden in der Schweiz jährlich vererbt, der grösste Teil davon in der Familie. Doch auch Menschen ohne gesetzlichen Erbanspruch und gemeinnützige Organisationen werden regelmässig in der Nachlassplanung berücksichtigt. Mit dem neuen Erbrecht, das per 01. Januar 2023 in Kraft getreten ist, wächst der Handlungsspielraum für potenzielle Erblasser:innen. Rechtsanwältin und Notarin Claudia Zumstein-Schuler beantwortet die wichtigsten Fragen zum revidierten Erbrecht.
Das neue Erbrecht ist ab dem 1. Januar 2023 in Kraft. Gerne gebe ich Ihnen einen auszugsweisen Überblick der wichtigsten Änderungen:
1. Aufhebung bzw. Reduktion von Pflichtteilsrechten: Sofern keine Nachkommen vorhanden sind, sind die Eltern gesetzliche Erben. Nach bisherigem Recht war der gesetzliche Erbanspruch der Eltern pflichtteilsgeschützt. Neu besitzen die Eltern keinen Pflichtteilsschutz mehr. Demnach können die Eltern ohne deren Mitwirkung mittels Erbvertrag oder Testament als Erben ausgeschlossen werden. Weit wichtiger als die Abschaffung des Elternpflichtteils ist die Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen. Bisher betrug der Pflichtteil der Nachkommen drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs. Neu beträgt der Pflichtteil der Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
2. Bindungswirkung des Erbvertrages: Vorkehrungen für den Todesfall erfolgen häufig in Erbverträgen. Solche Erbverträge kommen grundsätzlich mit dem Ableben der verfügenden Personen zur Anwendung. Nachbisherigem Recht konnte der Erblasser trotz rechtgültig abgeschlossenem Erbvertrag frei über sein Vermögen verfügen und insbesondere Gegenstände und Grundstückeveräussern, auch wenn diese in die zukünftige Erbschaft gehören. Neu kann eine mittels Erbvertrag begünstigte Person Schenkungen oder weitere Verfügungen von Todes wegen anfechten, sollten diese dem vorgängig abgeschlossenen Erbvertrag widersprechen.
3. Entzug des Ehegattenerbrechts bei hängigen Scheidungsverfahren:
Geschiedene Ehegatten haben zueinander kein gesetzliches Erbrecht. Neu
kann in gewissen Fällen bereits während der Rechtshängigkeit eines
Scheidungsverfahrens dem Ehegatten den erbrechtlichen Anspruch entzogen
werden. Dies kann mittels Testament oder in einem Erbvertrag erfolgen.
Durch die Aufhebung bzw. Reduktion von Pflichtteilsrechten wird die verfügbare Quote und dadurch der Handlungsspielraum in der Nachlassplanung erheblich vergrössert. Somit können z.B. Nachkommen ungleich behandelt werden oder es können Dritte, insbesondere nicht verwandte Lebenspartner:innen oder gemeinnützige Institutionen besser begünstigt werden. Ebenso können familiäre Konstellationen wie «Patchworkfamilien» beim Vererben besserberücksichtigt werden.
Der
Entzug des Ehegattenerbrechtsbewirkt, dass der «Noch-Ehegatte» nicht
durch Verzögerung der Scheidung seinen Erbanspruch behält.
Es empfiehlt sich, bereits abgeschlossene Verfügungen von Todes wegen
(Erbverträge oder Testamente) im Hinblick auf das neue Erbrecht prüfen
zu lassen. Ebenso sollte man die neuen Verfügungsmöglichkeiten nutzen,
um Dritte zu begünstigen und allenfalls nicht mehr
pflichtteilsgeschützte Erben auszuschliessen. Ferner ist zu prüfen, ob
man sich vorbehalten will, trotz Erbvertrag weiterhin zu Lebzeiten über
sein Vermögen zu verfügen. Diesfalls müsste eine entsprechende Klausel
in den Erbvertrag aufgenommen werden.
Nutzen Sie die Möglichkeiten, welche Ihnen das neue Erbrecht bei der Planung ihrer Nachlassregelung bietet. Sollten Sie ihren letzten Willen bereits in einem Testament oder einem Erbvertrag niedergeschrieben haben, lassen Sie diese Verfügungen in Ihrem Interesse und im Interesse Ihrer Erben mit Blick auf das neue Erbrecht von einer Fachperson prüfen. Richtig vererben dient Ihnen und vor allen Ihren Erben.