Wer in der Schweiz Betreuung am Wohnort braucht, muss ins eigene Portemonnaie greifen. Das gilt für Menschen im hohen Alter ebenso wie für Menschen mit Krankheit oder Beeinträchtigung und deren Angehörige, die in der Betreuung dringend entlastet werden müssten. Doch diese Entlastung können sich viele nicht leisten.
So lange wie möglich zuhause leben: Die meisten Menschen in der Schweiz wünschen sich das. Damit das gelingt, braucht es Unterstützung zu Hause. Diese erhalten Betroffene zum grossen Teil von pflegenden und betreuenden Angehörigen.
In der Schweiz werden mindestens 309’000 zuhause lebende Personen ab 15 Jahren aus gesundheitlichen Gründen regelmässig von Angehörigen unterstützt. Dies geht aus der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 hervor. Ein Grossteil von ihnen ist 65 Jahre oder älter. Bei ihnen liegt der Bedarf zu 70 Prozent bei nicht-pflegerischen Aufgaben: Hilfe im Haushalt, bei Einkäufen und schweren Hausarbeiten sowie bei administrativen Tätigkeiten. Auch Menschen aus anderen Altersgruppen, die Unterstützung benötigen, leben zuhause.
Die Anzahl betreuender Angehöriger beträgt in der Schweiz wohl mehr als eine Million[1]. Für sie ist die heutige Situation ein Problem. Denn die Betreuung eines Familienmitgliedes wird von vielen Angehörigen zwar als schöne, bereichernde und sinnstiftende Tätigkeit empfunden, die sie nicht missen wollen. Gleichzeitig aber ist sie auch sehr belastend. Zeitlich, psychisch, physisch und finanziell. Damit pflegende und betreuende Angehörige diese Aufgabe über längere Zeit erfüllen und dabei die eigene Lebensqualität und Gesundheit erhalten können, brauchen sie regelmässige Pausen.
Aktuell jedoch sind die Kosten für Betreuung durch keine Sozialversicherung gedeckt.
Das heisst: Betreuende Angehörige von Menschen, die über die reine medizinische Pflege hinaus Betreuung brauchen, müssen die nötige Entlastung selber bezahlen. Gute Betreuung ist nicht gratis und viele Menschen können sich diese nicht leisten.
Wieviel gute Betreuung (vor allem im Alter) kostet und wie diese finanziert werden könnte, hat die Paul Schiller Stiftung Anfang September 2021 [2] aufgezeigt. Im Rahmen des Förderprogramms «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017-2020» hat auch das Bundesamt für Gesundheit bereits zahlreiche Erkenntnisse zu Bedarf und Lösungsansätzen zusammengetragen. Gerade diese Erhebungen haben einmal mehr gezeigt, wie wichtig betreuende Angehörige für die gesamte Gesellschaft und das Gesundheitssystem der Schweiz sind.
Die Erkenntnisse liegen auf dem Tisch, das Problem ist erkannt, mögliche Lösungswege wurden aufgezeigt. Nun ist die Politik gefragt. Denn gute Betreuung sollte keine Frage des Geldes sein.
Um auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen, werden am 30. Oktober 2021, dem Tag für pflegende und betreuende Angehörige verschiedene Aktionen durchgeführt. –Auch, um den Angehörigen in aller Öffentlichkeit für ihren enormen Einsatz zu danken.
Der Entlastungsdienst Schweiz und das Netzwerk Gutes Alter veranstalten zudem am Freitag, 29. Oktober 2021 eine öffentliche Tagung mit dem Titel «Gutes Alter für alle – eine öffentliche Aufgabe?». Diese findet in Bern statt und richtet sich an die interessierte Öffentlichkeit, an Betroffene und Fachpersonen. Eine Einladung für Medienschaffende liegt dieser Mitteilung bei.
Details zum Tag, den Aktionen und zur Tagung unter www.angehoerige-pflegen.ch
[1] «Schätzungsweise 592'000 Personen betreuen in der Schweiz ihnen nahestehende Menschen. (...) Das heisst, dass jede 13. Person ab 16 Jahren in der Bevölkerung zum Zeitpunkt der Befragung betreuend war. Vermutlich sind es aber deutlich mehr: Die Mehrheit der betreuenden Angehörigen ab 16 Jahren (61 %) gibt nämlich an, dass mindestens eine weitere Person aus dem Familienkreis bei der Betreuung und Pflegemithilft.» In: Bedürfnisse und Bedarf von betreuenden Angehörigen nach Unterstützung und Entlastung – eine Bevölkerungsbefragung, Oktober 2019. Kurzfassung.
[2] «Kosten und Finanzierung für eine gute Betreuung im Alter in der Schweiz», Studienergebnisse und ihre fachliche und politische Einordnung, Paul Schiller Stiftung, Sept. 2021
Verfasst von: Elena Ibello
Medienmitteilung als PDFElena Ibello
Entlastungsdienst Schweiz
Kommunikationsbeauftragte
elena.ibello@entlastungsdienst.ch
Telefon: 079 400 37 55
Kurt Seifert
Netzwerk Gutes Alter
Vorstandsmitglied
kurt.seifert@gmx.ch
Telefon 076 518 51 44
Karin Levy möchte so lange wie möglich zuhause leben. Sie ist 75 und an Demenz erkrankt. Ihre Töchter Sonja (40) und Jessica (42) sorgen dafür, dass ihre Mutter in ihrer vertrauten Umgebung bleiben kann. Pflege braucht Karin Levy zurzeit keine, aber Betreuung rund um die Uhr. Darum wird die Familie von Betreuerinnen und Betreuern des Entlastungsdienstes Schweiz – Kanton Zürich unterstützt. «Der Entlastungsdienst ist Gold wert für uns. Einerseits ist meine Mutter aufgestellt und hat keine depressiven Verstimmungen mehr und andererseits können wir Töchter unser eigenes Leben führen», sagt Jessica Levy. Die Kosten für die Betreuung zuhause trägt die Familie allerdings selbst. Die Tarifreduktionen beim Entlastungsdienst Schweiz verschaffen etwas Zeit, doch irgendwann wird das Geld aufgebraucht sein. Karin Levy ist gezwungen, für das Leben zuhause den Grossteil ihres Vermögens aufzubrauchen. Ihre Töchter müssen damit leben, dass sie ihre Mutter in ein Heim geben müssen, sobald das Geldaufgebraucht ist. Das ist für alle eine schwierige Vorstellung. «Es fehlen regional verfügbare Angebote, die bezahlbar sind. Unsere Mutter braucht keine Pflege, sondern Betreuung», sagen die Töchter.