forum 19 /2020
Mein Mann ist einige Jahre älter als ich und ich freue mich, mit ihm alt zu werden. Ein Thema sprechen wir allerdings heute schon an: Sollte er pflegebedürftig werden, hole ich mir Unterstützung und schaue, dass ich selbst gesund bleibe. Das Gleiche gilt umgekehrt auch für ihn. Denn in unserem Umfeld beobachten wir ältere Menschen, deren Angehörige weit über ihre Kräfte hinaus für sie sorgen – zum Schluss leiden alle.
Jede achte Person in der Schweiz betreut ein Familienmitglied. Die gegenseitigen Erwartungen sind gross. Die Eltern möchten von ihren Kindern betreut werden, nicht durch fremde Fachpersonen. Sie wollen in ihrer Wohnung bleiben, auch wenn sie nicht altersgerecht ist. Und nicht auf das eigene Auto verzichten, obwohl das sicherer wäre. Sie möchten autonom bleiben und selbst bestimmt leben.
Wir Kinder wollen unseren Eltern etwas zurückgeben und dafür sorgen, dass sie im gewohnten Umfeld leben können. Zeit für seine Angehörigenaufzubringen, hat viele schönen Seiten und unsere Gesellschaft würde ohne diese unbezahlte Care-Arbeit nicht funktionieren. Gerade auch in dieser Krisenzeitsind familiäre Strukturen enorm wichtig. Doch dieser Einsatz ist auf Dauerkraftraubend und kann zu Spannungen in der Familie führen, wenn wir unsere eigenen Ressourcen überschätzen. 40 Prozent der betreuenden Angehörigen leiden unter psychischen Problemen – von Schlafstörungen bis hin zu Burnouts. Damit das nicht passiert, müssen wir auf uns selbst achtgeben und Hilfe beiziehen, bevor wir überfordert sind. An Möglichkeiten mangelt es nicht, nur ist es oft sehr schwierig, die Angehörigen zu überzeugen. Sich einzugestehen, dass sie Hilfebenötigen und annehmen sollten, ist für sie ein grosser Schritt.
Am besten spricht man offen an, was belastend ist und welche Lösungen es gäbe. Zum Beispiel der Notfallknopf, damit wir selbst wieder gut schlafen können. Oder eine externe Betreuungsperson, die Aufgaben übernimmt. Ich erlebe immer wieder, wie erleichtert schlussendlich alle Seiten sind, wenn Unterstützung kommt.
Hilfe zu holen bedeutet achtsamen Umgang mit sich selbst, mit dem eigenen Umfeld und erhöht die Lebensqualität aller Betroffenen – eine Win-win-Situation!
Sarah Müller, Geschäftsführerin Entlastungsdienst Schweiz, Kanton Zürich